Gottfried August Bürger

 

 

Gedichte

 

Vorrede.

 

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Literatur

 

Einige meiner bisher einzeln erschienenen Gedichte haben, das weis ich gewis, vielen wackern Leuten gefallen, und von andern, wofern eignes Urtheil nicht gänzlich fehlt, darf ich ein gleiches vermuten. Der Entschlus also, sie in einen eignen Band für meine Freunde zu sammeln, scheint keiner Entschuldigung weiter zu bedürfen. Denn warum solte ich nicht in ein Haus gehn, wo ich nicht ungern gesehen zu werden hoffen darf?

Darum aber ist es mir noch lange nicht gemütlich, mit der Gebärde des Dünklings, der sich oft so gern für edlen Stolz verkau[II]fen möchte, mein selbstzufriednes Ich hier vor mir her zu lächeln, oder zu schnauben. Denn, wenn auch der Beifal, der mir widerfährt, wolverdient und von unvergänglicher Dauer wäre, so weis und fühlt es doch gewis und warhaftig keiner meiner Brüder lebhafter, als ich, daß es noch andre Verdienste zu Tausenden in der Welt gebe, denen das Verdienst gute Verse zu machen, die Schuhriemen auflösen mus: wiewol es nun freilich unleügbar, der Lauf irdischer Dinge mit sich bringt, daß das Ehrensiegel auf der Stirn des Dichters heller und dauerhafter ausgedrukt ist, als auf den meisten andern. Ich selbst habe daher nie, weder mit Mund noch Herzen, das Aufheben davon gemacht, welches meine gütigen Freunde davon zu machen beliebt haben. Das werden mir alle diejenigen bezeugen, die je mit mir umgegangen sind, und ein scherzendes Eigenlob, womit ich wol bisweilen zu spielen pflege, von dem ernstlichen zu unter[III]scheiden wissen. Ueberdem weis ich auch sehr gut, wie leicht einem der Wind der Laune und Mode, selbst wider Verdienst, Beifal entgegen wehen, und wie geschwind sich dieser oft wenden könne. Ich weis sehr gut, daß nicht alle meine Gedichte Allen, ja selbst meine Besten nicht allen gefallen werden. Manche verdienen und erhalten vielleicht gar keinen Beifal. Denn der Geist hat, wie der Leib, seine Anwandlungen von Schwachheit; und nicht aller Menschen Seelen sind mit einerlei Saiten bezogen; nicht alle haben gleiche Stimmung.

Darum aber ist es mir wiederum noch lange nicht gemütlich, in dünnethuender Demut, auf allen Vieren, vor den Schemel der Kritik, sie sey welche sie wolle, zu kriechen, und für irgend eins meiner Werke um Gande zu betteln. Denn ich lebe und sterbe des Glaubens, <daß> keinem darstellenden Werke, welchem die Natur lebendigen [IV] Odem in die Nase geblasen hat, tausend und abermal tausend Schemelrichter – was Schemelrichter? – selbst Thronrichter nicht! nur ein Härchen krümmen können. Ich lebe und sterbe des Glaubens, daß tausend und abermal tausend Schemel- und Thronrichter zu ohnmächtig sind, ein an sich sieches Werk zu Gesundheit und Leben zu befördern. Mithin habe ich an diese Herren schlechterdings nichts zu bestellen.

Wandelt demnach hin, ihr Kinder meines Geistes und Herzens, schon von Haus aus mit eurem unvermeidlichen künftigen Schiksal geschwängert! Wandelt hin, entweder selbstständig in angebornem Vermögen, oder hinfällig durch eigne innere Schwachheit! Niemand kan euch nemen, was ich euch gab; Niemand geben, was ihr von mir nicht empfinget. Nicht alle werdet ihr sterben: das weis ich, das darf ich sagen, dessen darf ich mich freuen. Nicht alle wer[V]det ihr im Strome der Zeit oben bleiben: das weis ich eben so gut, und darf es nicht verschweigen. Solte ich aber drob zagen und trauren? Keinesweges! Um eurer gesunden Brüder willen mag man euch verzeihen. Und wenn ihr nun auch dahin sinkt, was ist es denn mehr? – Tausende sind vor euch versunken; Tausende werden euch nachfolgen, ohne von gesunden wackern Brüdern zu Grabe gesungen zu werden.

Erreicht habe ich mein Ziel, worauf ich, seit der Zeit, da die Begriffe von Natur und Wesen darstellender Bildnerei, etwas mehr in meinem Kopfe sich aufgeklärt haben, meistens losgesteuert bin: Wenn meine Lieblingskinder den Mehrsten aus allen Klassen anschaulich und behaglich sind. Und warum solte mich es nicht freuen, daß es bei verschiedenen, wo ich dies Ziel mit Vorbedacht scharf auf das Korn genommen hatte, und welche durch das ganze Volk – worunter [VI] ich mit nichten den Pöbel allein verstehe – gäng' und gebe geworden sind, mir gelungen ist, zu bestätigen die Wahrheit des Artikels, woran ich festiglich glaube, und welcher die Axe ist, woherum meine ganze Poetik sich drehet: Alle darstellende Bildnerei kan und sol volksmässig seyn. Denn das ist das Siegel ihrer Volkommenheit.

Ich war erst Willens, mein ausführliches Glaubensbekäntnis hierüber an diesem Ort in das Archiv meines Zeitalters, unbekümmert um den Ab- oder Beifal meiner gelehrten verskünstelnden Zeitgenossen, für die Nachkunft nieder zu legen. Da mir dies aber unter andern auch die Enge des vorgesezten Raums verbietet, so bleibt es mir auf ein andres mal bevor, zu zeigen, wie eigentlich Volkspoesie, die ich als die einzige wahre anerkenne, und über alles andre poetische Machwerk erhebe, beschaf[VII]fen und möglich sey. Vielen von denen, die jezt leben, ist das freilich Aergernis oder Thorheit. Aber Gedult! das Joch,

Nicht auf immer lastet es! Frei, o Teutschland,
Wirst du dereinst! Ein Jahrhundert nur noch;
So ist es geschehen, so herscht
der Natur Recht, vor dem Schulrecht.

Ich darf nicht schliessen, ohne eins und das andre, was diese Samlung im einzelnen betrift, erst noch zu sagen.

Man hat mir erzält – denn ich lese solches Geschreibsels blutwenig, und höre überhaupt lieber, was man hier und da sagt, als ich lese, was ein Stubenschwizer schreibt, – erzält hat man mir, daß hypochondrische oder hysterische Personen in einigen meiner Gedichte Anstos und Aer[VIII]gernis gefunden haben. Nachdem ich solche Stellen genau vor meinem Kopf und Herzen geprüft, so habe ich befunden, daß das Aergernis nicht sowol gegeben, als genommen war. Da es mir nun erlaubt seyn wird, dafür zu halten, daß mein Kopf keinem Schafe, und mein Herz keinem Schurken gehöre; so habe ich solche Stellen getrost stehen lassen. Eine weitläufige Apologie dafür zu schreiben, hiesse dem gesunden Menschenverstande ein Aergernis geben. Denn es leuchtet schon an sich in jedes gesunde Auge, daß es jämmerliche Dumheit sey, die Mutter Gottes, oder gar den Weltheiland, für entehrt zu achten, wenn ein Dichter zur Erhöhung seines darzustellenden Ideals von volkomner Weibesschönheit und Tugend hinzusezt:

Heiliger und schöner war
Nur die hochgebenedeite,
Die den Heiland uns gebar.

In der ersten Lesart stand zwar kaum für [IX] nur; aber das ist nach Sin und Sprache einerlei. Wenn der Mutter Gottes die höchste weibliche Schönheit und Tugend beigelegt wird, so dächte ich, selbst der strengste Katholik könte nicht mehr verlangen. Eine Person aber mus schlechterdings in der Welt gewesen seyn, die ihr hierin am nächsten gekommen ist. Ist es denn nun wol Sünde, wenn der Dichter sein Ideal auf die nächste Stufe unter ihr stelt? – Aber ich weis wol, woher sich so manche unsinnige Urtheile entspinnen. Es singt wol kein Dichter ein Liebeslied, das die Einfalt nicht seinen wirklich erlebten Liebesgeschichten anpast. Irgend ein Pinsel weis vielleicht, daß der Dichter dies oder jenes Mädchen liebt, oder geliebt hat. Nun fängt er an zu vergleichen, und da mus es denn freilich auffallend seyn, das wirkliche Mädchen, dem besungenen Mädchen der Einbildungskraft so weit nachstehen zu sehn. Aber wer heist euch denn vergessen, daß [X] Dichter – Dichter sind? – Petrarka's Laura ist gewis und warhaftig das nicht gewesen, was die unsterblichen Lieder des Dichters aus ihr gemacht haben. Mein erwähntes Lied ist eine Fantasie, im Geiste der Provenzal- und Minnedichter. Die Geschichte erwähnt nichts davon, daß im zwölften und dreizehnten Jahrhundert ein Dichter über Stellen in den Ban gethan worden wäre, worüber den Zeloten des achtzehnten die dummen Augen zum Kopf heraus schwellen.

Ja, wird man mir nun einwenden, dem gesunden Verstande hast du freilich kein Aergernis gegeben; aber, Dichter, du soltest doch auch der Schwachheit schonen. Ich antworte hierauf: Es ist zwar wider meinen Charakter, die Schwachheit nur unschuldiger Weise zu ärgern; aber sich auch immer und ewig nach ihr zu geniren, giebt der Menschheit kein Gedeihen. Ich hüte [XI] mich vor den Krankenstuben, wer heist die Kranken zu mir kommen und von meinen Speisen naschen? Was ist wol, ich wil nicht sagen, gleichgültiges, sondern selbst ausgemacht gutes und vortrefliches in der Welt, worüber sich schlechterdings keine schwache Seele ärgerte? Der Gläubige ärgert sich über den Ungläubigen; und der Ungläubige über den Gläubigen. Selbst über dich – wer steht dafür, daß nicht selbst über dich, o Johan Ahrends wahres Christenthum, Tausende sich schon geärgert haben, Tausende noch ärgern werden? –

Um derjenigen willen, die von der Originalität eines darstellenden Werks und dem Verdienste seines Verfassers, Gott weis! was für seltsame Begriffe haben, mus ich offenherzig gestehen, daß ich den Inhalt zu einigen Gedichten aus fremden Sprachen entlehnt habe. Man bilde sich aber nicht ein, als ob ich in solchen Fällen das Origi[XII]nal vor mir liegen gehabt und Zeile bei Zeile verdolmetschet hätte. Oefters hatte ich das fremde Gedicht vor Jahren gelesen; sein Inhalt war meinem Gedächtnisse gegenwärtig geblieben; diesen stelte ich teutsch dar, und gab ihm Bildung und Farbe aus eignem Vermögen. Wer von dem Verhältnis dieser meiner teutschen Umbildungen zu den Originalen sich einen Begrif machen wil, und etwa die wenigen englischen und französischen Stücke nicht bei der Hand hat, der vergleiche nur meine Nachtfeier der Venus mit dem lateinischen Pervigilium Veneris; oder noch näher, mein Zechlied mit seinem der Rarität und Schurrigkeit wegen vorangesezten Originale. So viel ich hier ohngefähr dem Lateiner schuldig bin, so viel, oder nicht vielmehr, bin ich anderwärts dem Britten und Franzosen schuldig geworden. Indessen wil ich doch, um die Litteratoren der undankbaren Mühe des Nachspürens zu überheben, alles, was [XIII] nicht ganz mein eigen ist, getreulich hier anzeigen. Die Nachtfeier, das Lied an Themiren, und das Zechlied führen das Bekäntnis an der Stirne. Das harte Mädchen, so wie das Lied, an den Traum-Gott, haben, wo ich mich recht erinnere, nur einige Stellen, aus einem englischen Dichter, ich weis warhaftig nicht mehr, aus welchem? entlehnt. Es ist aber immer auch möglich, daß sie ganz mein eigen sind. Adeline ist, dünkt mich, nach Parnell; das Dörfchen nach Bernard; die beiden Liebenden nach Rochon de Chabannes; das vergnügte Leben nach Grecourt; der Bruder Graurok, die Entführung, und des Schäfers Liebeswerbung sind nach altenglischen Gedichten in Percy's bekanter Samlung; und endlich zu der Umarmung hat, wo mir recht ist, eine Elegie des Johannes Secundus Anlas gegeben. So lang und nicht länger ist meine ganze Beichte. Kaum wär ich schul[XIV]dig gewesen, sie so gewissenhaft abzulegen. Allen übrigen wird der schärfste litterarische Spürhund nichts fremdes abriechen, es müste denn seyn, daß die Geschichte von Lenardo und Blandine in alten Novellen, unter dem Namen Guiscardo und Gismunda, ähnlich, die Schnurre der Weiber von Weinsberg aber in alten Chroniken vorkomt; und endlich die Handlung des braven Mannes als wahr erzält wird. Wenn aber dies der Originalität Eintrag thut, so bleibt, – si parva licet componere magnis – selbst Shakespear der poetische Schöpfer nicht mehr. Einige wenige meiner Lieder sind in Ramlers lyrischer Blumenlese anders erschienen, als ich sie zuerst in den Almanachen gegeben hatte. Was ich für Verbesserung hielt, das habe ich hier aufgenommen. Wo mir aber die neue Lesart blos Veränderung schien, da glaubte ich berechtigt zu seyn, die meinige vorzuziehen. Vielleicht irre ich, sowol hier, als dort.

[XV] Zum Beschlusse mus ich noch etwas von meiner Rechtschreibung erwänen, wiewol mir die lange Vorrede schon selbst fatal zu werden anfängt. Ich neme Klopstocks Saz, der auch der Saz der gesunden Vernunft ist, an: Man schreibt nicht für das Auge, sondern für das Ohr, und mus daher nicht mehr schreiben, als man aussprechen hört. Klopstock fügt hinzu: Auch nicht weniger! wogegen ich aber doch einiges Bedenken zu äusern habe. – Bin ich aber der Hauptregel überal nachgekommen? – Nein! und zwar aus der Vorsicht, die ebenfals Klopstock aus gutem Grunde empfielt. Man mus nicht alles auf einmal thun wollen, wenn es glüklich von Statten gehn sol. Die Misbräuche eines Tyrannen, wie der Sprachgebrauch ist, lassen sich nur nach und nach untergraben und auswurzeln. Sobald aber die gesunde Vernunft sie wirklich für Misbräuche erkent, so mus man es nicht immer gleich[XVI]gültig oder zaghaft, bei dem alten bewenden lassen, sondern anfangen, fortfaren und enden. Klopstock hat angefangen; manche wackere Leute sind schon fortgefaren; ich habe das nämliche gethan; und wünsche gedeihliche Nachfolge. Ich habe noch mehr ungehörte Buchstaben, als Klopstock, und das unteutsche y mehrentheils verbant. Das die Dehnung anzeigende h kan überal und mus zunächst aus solchen Sylben wegbleiben, die man ohnehin dehnt, und dehnen mus. Das ß ist ein höchst alberner Buchstab. Ein reines s oder ss kan uns die nämlichen Dienste, wie andern Sprachen, thun. Wo ein ss gehört wird, da kan man es ja, stat des buklichen ß sezen, weil es wol ursprünglich und im Grunde nichts anders, als ein durch Schreibverkürzung verändertes ss ist. Die überflüssigen Doppelkonsonanten am Ende habe ich fast überal weggelassen. Die grammatische Regel kan ja heissen: In der Umendung [XVII] wird der Konsonans verdoppelt. z.B. das Ros, des Rosses, der Fus, des Fusses, der Schrit, des Schrittes. Freilich wil es das Auge oft übelnemen, und hierin wie ein Kind gehalten seyn. Ich leugne nicht: selbst das Meinige macht mir oft Kindereien. Eben darum aber mus man es nur nach und nach dran gewönen, da einen unnötigen Buchstaben zu missen, wo es sonst einen zu sehen gewohnt war. Und die tägliche Erfarung lehrt, wie geschwind es sich daran gewönen könne, und wie es ihm nachher eben so auffallend sey, den verbanten Buchstaben wieder da stehn, als vorher, ihn mangeln zu sehen. Auch darf man sich warhaftig an dasjenige nicht kehren, was die alten Salbaader und Pfalbürger bis zum Ekel dagegen von sich zu geben pflegen. Die bleiben gemeiniglich unheilbar bei ihren fünf Augen, ob ihre Gründe gleich keinen Pfifferling wehrt sind. Allein sie sind es auch warlich nicht, die zur Bildung der [XVIII] Sprache berufen sind. Jeglichen ihrer Gründe kan man mit irgend einem Gegenbeispiel aus der Sprache, welchem sie selbst folgen, zu Boden stossen. Wenn sie meinen, man müsse einen ungehörten Buchstaben, wegen unterschiedlicher Bedeutung einiger Wörter, die einerlei Klang haben, schreiben; so kan man ihnen, sowol aus unsrer, als allen andern Sprachen, hundert Beispiele darlegen, da Wörter von sehr verschiedener Bedeutung von ihnen selbst mit einerlei Buchstaben geschrieben werden. Sie schreiben lecken lambere, wie lecken exsultare. Warum könte nun nicht war, erat, und wahr, verum, beides ohne h geschrieben werden, da die Aussprache volkommen einerlei ist? Im Grunde widerspricht blos das Auge, welches doch allenfalls schon Warheit, stat Wahrheit duldet. Komt mir nicht mit der Undeutlichkeit aufgezogen! Das ist die albernste Ziererei, die ich kenne. Ein Teutscher versteht seine Sprache, oder [XIX] solte sie doch verstehen. Alle Sprachen haben das an sich, daß man oft nicht den Sin aus einzelnen Wörtern, sondern dem ganzen Zusammenhange aufgreifen mus. Schreibt man ferner einem solchen Pfalbürger Rat für Rath, so ist es lustig, seine Maulgrimassen zu sehen, wenn er behauptet, daß man das Wort, ohne h, nicht anders, als Ratt aussprechen könne. Dennoch schreibt der Gek selber, er trat er bat, ohne h, und spricht nicht, er tratt, er batt aus. Schreibe ich ihm wiederum für matt, mat, so grimassirt er von neuem, und spricht maat aus, wiewol er hat habet ganz richtig auszusprechen weis. – Lieben Brüder, wenn ihr eure Sprache lieb habt, so tretet dem Schlendrian auf den Kopf und richtet euch nach den Regeln der Vernunft und einfachen Schönheit! Nach welcher sich schon gröstentheils die Minnesinger richteten, ehe die nachfolgenden plumpern Jahrhunderte die Sprache mit [XX] so vielen unnötigen Buchstaben überluden. Jene schrieben fast gar kein dehnungs h, und das giebt der Sprache ein noch einmal so einfaches, reines und schönes Ansehn.

Klopstock schlägt, nächst der Verbannung ungehörter Buchstaben, zum Behuf richtiger Aussprache in Ansehung der Dehnung und Verkürzung, ein algemeines die Augen am wenigsten beleidigendes Dehnungszeichen vor. Ich kan mir keines denken, das nicht die reine einfache Schönheit im Schreiben und Drucken beschmizen solte. Die Accente und Circumflexe im Griechischen, so klein sie auch für das Auge sind, sind mir dennoch sehr zuwider, weil dadurch der schöne, weisse, helle Raum ohne Symmetrie volgeschnörkelt wird. Weit besser, wir hätten, wie die Griechen, unterschiedene Figuren für die langen und kurzen Selbstlaute. Wozu ist im Grunde ein solches Zeichen nötig? Es ist überflüssig. Wir ent[XXI]beren es schon in vielen Wörtern, ohne den geringsten Nachtheil. Ein Teutscher weis und mus es ohnehin wissen, wie er seine Sprache auszusprechen habe. Die Fremden, denen daran gelegen ist, sie zu lernen, mögen, wie so vieles andre, auch dies mit lernen. Wer malt uns bei dem Lateinischen die Quantität, die Dehnung, oder Verkürzung, wer bei allen andern Sprachen die Aussprache vor? Lernen müssen wir sie, und lernen sie auch. So was dem Ausländer vorzuzeichnen, wäre eben so viel, als jedem teutschen Buche, für den Franzosen oder Britten eine versionem interlinearem beizufügen. Wil man ja dem Ausländer durch solche Zeichen zu Hülfe kommen, so geschehe es doch nirgends, als höchstens in der Grammatik, oder in dem Lexikon.

Hiermit hoffe ich mich einstweilen hinlänglich erklärt und dem Argwohn vorge[XXII]beugt zu haben, als ob ich blos aus Eigensin, Neuerungs- oder Geniesucht – daß ich mich dieses von Crethi und Plethi so – sehr ausgemergelten Spotworts bediene – so, und nicht anders geschrieben hätte. Ich bin sonst keinesweges ein Feind der Mode und des Schlendrians; habe nicht gern ein Abzeichen an mir; seze meinen Hut, trage meine Haare und Kleider; kurz von Haupt bis zu Fus trage und gebärde ich mich immer gern, wie die meisten andern wackern Gesellen von meinem Schlage, und freue mich, wenn sie mich für Ihrer Einen halten, so lange Mode und Schlendrian nur gut, oder wenigstens gleichgültig sind. Wo sie aber demjenigen, was mir besser scheint, das Widerspiel halten, da folge ich herzhaft meinem mir angebornen Freiheitssinne.  Geschrieben im April 1778.

Bürger.      

 

 

 

 

Erstdruck und Druckvorlage

Gottfried August Bürger: Gedichte.
Göttingen: Dieterich 1778, S. I-XXII.

PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10912053-9
PURL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN67002712X
PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001B07E00000000
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/011922660
URL: https://archive.org/details/bub_gb_YvlPAAAAcAAJ

Die Textwiedergabe erfolgt nach dem ersten Druck (Editionsrichtlinien).

 

 

Kommentierte Ausgaben

 

 

 

Werkverzeichnis


Verzeichnis

Goedeke, Karl: Grundriss zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen.
3. Aufl. Bd. 4.1. Dresden: Ehlermann 1916, S. 988-1022.
URL: http://www.archive.org/details/GoedekeGrundrissZurGeschichteDerDeutschenDichtung-3-41



Bürger, Gottfried August: Gedichte.
Göttingen: Dieterich 1778.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10912053-9
PURL: http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?PPN67002712X
PURL: http://resolver.staatsbibliothek-berlin.de/SBB0001B07E00000000
URL: http://www.deutschestextarchiv.de/buerger_gedichte_1778
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/011922660
URL: https://archive.org/details/bub_gb_YvlPAAAAcAAJ

Bürger, Gottfried August: Gedichte.
Erster Theil. Göttingen: Dieterich 1789.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10106515-2
URL: http://www.gottfried-august-buerger-molmerswende.de/gedichte_1789_erster_theil.pdf
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/008975242
URL: https://archive.org/details/bub_gb_mFYuAAAAYAAJ

Bürger, Gottfried August: Gedichte.
Zweyter Theil. Göttingen: Dieterich 1789.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11303314-5
URL: http://www.gottfried-august-buerger-molmerswende.de/gedichte_1789_zweiter_theil.pdf
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/008975242
URL: https://archive.org/details/bub_gb_y1YuAAAAYAAJ


Bürger, Gottfried August: Lehrbuch der Ästhetik.
Hrsg. von Karl v. Reinhard.
Bd. 1. Berlin: Schüppel 1825.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10573604-5
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/005716974
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/005716974

Bürger, Gottfried August: Lehrbuch der Ästhetik.
Hrsg. von Karl v. Reinhard.
Bd. 2. Berlin: Schüppel 1825.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10573605-0
URL: http://catalog.hathitrust.org/Record/005716974
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/005716974




Briefe von und an Gottfried August Bürger.
Hrsg. von Adolf Strodtmann. 4 Bde. Berlin: Paetel 1874.

Bd. 1: Briefe von 1767–1776.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183617-6
URL: http://www.archive.org/details/bub_gb_HA4TAAAAYAAJ
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688

Bd. 2: Briefe von Briefe von 1777–1779.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183618-2
URL: http://www.archive.org/details/bub_gb_AoDfAAAAMAAJ
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688

Bd. 3: Briefe von Briefe von 1780–1789.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183619-2
URL: http://www.archive.org/details/bub_gb_PocoAQAAIAAJ
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688

Bd. 4: Briefe von Briefe von 1790–1794.
PURL: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb11183620-4
URL: https://catalog.hathitrust.org/Record/006907688



Bürger, Gottfried August: Lehrbuch der Ästhetik.
Neu hrsg., eingeleitet und kommentiert von Hans-Jürgen Ketzer.
Berlin: Scherer 1994.

Bürger, Gottfried August: Briefwechsel.
Hrsg. von Ulrich Joost und Udo Wargenau.
Bd. 1 ff. Göttingen: Wallstein Verlag 2015 ff.

 

 

 

Literatur

Bartl, Andrea u.a. (Hrsg.): Die Ballade. Neue Perspektiven auf eine traditionsreiche Gattung. Würzburg 2017.

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URL: http://journals.openedition.org/ceg/970

Lombez, Christine: La traduction de la poésie allemande en français dans la première moitié du XIXe siècle. Réception et interaction poétique. Tübingen 2009 (= Communicatio, 40).
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Schneider, Joh. Nikolaus: Ins Ohr geschrieben. Lyrik als akustische Kunst zwischen 1750 und 1800. Göttingen 2004 (= Das achtzehnte Jahrhundert. Supplementa, 9).

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Edition
Lyriktheorie » R. Brandmeyer