Nachruf von Karen Shire und Mona Motakef im Journal Netzwerk Frauenforschung NRW, Nr. 25, Dortmund In Memoriam Doris Janshen

In der Nacht vom 17. Februar 2009 ist Doris Janshen im Alter von nur 62 Jahren in Essen gestorben. Doris Janshen war Professorin für Soziologie an der Universität Duisburg-Essen und Direktorin des Essener Kollegs für Geschlechterforschung. Am 02.03.2009 wurde sie unter großer Anteilnahme von Freundinnen und Freunden, Kolleginnen und Kollegen sowie ihrer Familie in Krefeld beigesetzt.
Doris Janshen war eine Wissenschaftspersönlichkeit, die mit hohen rezeptiven Fähigkeiten gesellschaftliche Entwicklungen aufspürte. Ihrem Doktorvater Klaus Heinrich (FU Berlin) verpflichtet, stand sie für eine Wissenschaftspraxis, die disziplinäre Schranken zu überwinden suchte. Es war ihr großes Anliegen mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Fachmethoden und -kulturen gemeinsame Forschungen zu initiieren. Doris Janshen suchte hierbei nicht nur Konvergenzen zwischen den Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften, sondern auch die Annäherung von Wissenschaften und den Künsten. Die enorme Breite an Themen, die mit Doris Janshens Namen in Verbindung stehen, hätte für mehrere Leben in der Wissenschaft gereicht.Ob es um den Nutzen jungenpädagogischer Angebote ging oder um die Strukturen sexueller Gewalt - Doris Janshen war mit ihren Themen oft Pionierin und lancierte Forschungen, die später den Weg in den Mainstream der Wissenschaft fanden. Dieser Nachruf kann nur einen Einblick in das Werk, dass sie hinterlässt, bieten.
Die Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis in der Gesellschaft wie in der Forschung,  bildete ihren Pfad durch die Verästelungen der vielfältigen Disziplinen. In der Biographie von Doris Janshen verbindet sich geschlechterpolitisches Engagement und  innovative Grundlagenforschung in einer überlegten und zupackenden  Weise, wie man sie an der Leistungsuniversität von heute kaum noch findet. In ihrer biographischen Notiz, die sie für den von Ulrike Vogel herausgegebenen Sammelband über die erste Generation von Professorinnen in der Soziologie und der Frauen- und Geschlechterforschung verfasst, resümiert sie im Jahr 2006: Als ich vor dreißig Jahren damit begann, war ich auch intellektuell noch strahlend jung und hätte mich mit lachender Entschiedenheit dagegen verwahrt, dass Gender mich heute noch in veränderter, aber doch ungebrochener Weise nach vorne treibt, in die Beantwortung neuer und ungeklärter Fragen. (Wiesbaden).

Doris Janshen macht im Jahr 1966 am Krefelder Mädchengymnasium Maria Sibylla Merian Abitur. Der Namensgeberin ihrer Schule, der mutigen Grenzgängerin, Naturforscherin und Künstlerin Merian (1647-1717) wird sie, wie noch deutlich wird, ihr Leben lang intellektuell verbunden bleiben.
In Freiburg nimmt sie 1968 mit großer Wissbegierde ihr Studium auf: Sie studiert Germanistik, Geschichte, Skandinavistik und Kunstgeschichte und begibt sich für ein Jahr an die Universität Stockholm, um als Lektorin für Deutsch zu arbeiten. Zurück in Deutschland zieht es an die Freie Universität Berlin. Zusätzlich zu den eben genannten Fächern nimmt sie das Studium der Japanologie und Skandinavistik auf, dass sie 1974 mit einer Arbeit über die „Denkstruktur und Sprachform in den Prosatexten von Jürgen Beckers“ abschließt. Es ist die Hochzeit der Studenten- und Frauenbewegung. In ihrem Freiheitsdrang fühlt sie sich insbesondere der Frauenbewegung eng verbunden und wird zu einer ihren wichtigen Gestalterinnen. Sie möchte sich fortan, wie sie später erklärt, nicht mehr nur den Schönen Künsten widmen. Doris Janshen beginnt Soziologie, und als sie Prof. Klaus Heinrichs Vorlesungen in den Bann ziehen, auch Religionsphilosophie zu studieren. An der FU Berlin entwickelt sie Interesse für techniksoziologische Fragestellungen und begründet einen, wie man heute sagen würde, techniksoziologischen Forschungszirkel: Sie leitet das Forschungsprojekt „Kommunikation im soziotechnischen System: Ein Konzept für ein variables Telekommunikationssystem in der Gropiusstadt Berlin". Auch in ihrer Doktorarbeit lässt sie die Geisteswissenschaften hinter sich und promoviert über die „Rationalisierung im Alltag der Industriegesellschaft: Vernunft und Unvernunft neuer Kommunikationstechnologien am Beispiel Japans.“ Internet-begeisterten Mitarbeiterinnen wird sie später mit einem müden Lächeln entgegenhalten, dass sie bereits vor dreißig Jahren Kommunikationsnetze erforscht und konzipiert hat.
Ab 1978 nimmt Doris Janshen eine Reihe von Beratungstätigkeit auf. So berät sie etwa den Präsidenten der FU Berlin bei der Einrichtung eines universitären Frauenforschungsbereichs. Sie wird Gastwissenschaftlerin am Wissenschaftszentrum Berlin und führt die Technikforschung in frauenpolitischer Perspektive fort. Ein Jahr später beginnt sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der TU Berlin zu arbeiten, wo sie weitere Forschungsprojekte durchführt, in denen sie Frauen- mit Technikforschung zusammen denkt. Für das Bundesministerium für Bildung und Wissenschaft untersucht Doris Janshen von 1984 bis 1986 zusammen mit Hedwig Rudolph die Studien- und Arbeitsbedingungen von Ingenieurinnen. Als im Jahr 1987 Ingeneurinnen: Frauen für die Zukunft (Berlin) erscheint und im Jahr darauf Frauen gestalten Technik (Herbolzheim) können die Autorinnen noch nicht wissen, dass ihre Arbeiten, später maßgeblich die gendersensible Technikforschung prägen werden.
Doris Janshen leitet den interdisziplinären und überregionalen Arbeitskreises „Technik und Menschenrechte“ im Rahmen ihrer Vorstandstätigkeit im Komitee für Grundrechte und Demokratie. In diesem Rahmen organisiert sie zudem und wieder zusammen mit Hedwig Rudolph die vielbeachtete Konferenz „Technik, Mensch und Menschenrecht". Im Jahr 1990 erscheint die Denkschrift „Hat die Technik ein Geschlecht?" (Berlin).
Im Zuge ihrer Vorstandstätigkeit im Komitee für Grundrechte lanciert Doris Janshen die „Kampagne gegen sexuelle Gewalt", zu der sie 1991 einen Sammelband herausgibt (Frankfurt).

Ende der 1980er Jahren erhält Doris Janshen einen Ruf an die Gesamthochschule Essen. Im Jahr 1990 verlässt Doris Janshen Berlin und tritt die Professur für Soziologie an. Über Doris Janshen wird über die Zeit berichtet, dass man sie auch auf den Fluren der Universität oder in den Seminarräumen kaum ohne ihre Hündin Bella antraf. Als Hundeliebhaberin und Tierfreundin die sie ist, setzt sie sich fortan professionell mit der Mensch-Tier-Kommunikation (1992) auseinander. Zudem initiiert sie ein Forschungsprojekt zu „Landfrauen in Europa“ und führt 1991 den internationalen Kongreß „Europäische Landfrauen auf neuen Wegen“ durch. Gleichzeitig weitet sie ihr techniksoziologisches Interesse auf die Militärforschung aus. In Kooperation mit dem Arbeitskreis „Frauen, Technik, Zivilisation" und dem Wissenschaftsforum der Sozialdemokratie organisiert sie 1992 die Konferenz „Frauen, Technik, Militär“.
Seit 1998 ist Doris Janshen Direktorin des maßgeblich von ihr konzipierten Essener Kollegs für Geschlechterforschung. Während viele ihrer Weggefährtinnen aus der Frauenbewegung sich noch ganz der Frauenforschung verschreiben, akzentuiert Doris Janshen am Kolleg einen Ansatz von Geschlechterforschung, der Männerforschung mit einbezieht. Mit der Herausgabe des Sammelbandes  Blickwechsel im Jahr 2000 plädierte sie für einen neuen Dialog zwischen Männer- und Frauenforschung (Frankfurt).
Am Essener Kolleg für Geschlechterforschung begründet sie in frauenpolitischer Perspektive ein Postdoc-Programm zur Förderung von Hochschullehrerinnen. Unter dem Zeichen der Namensgeberin ihres Gymnasiums Maria Sibylla Merian, unterstützt Doris Janshen fortan junge Frauen auf ihrem Weg zur Professur. Im Rahmen des Maria Sibylla Merian Postdoc-Programms wird im Abstand von zwei Jahren ein von der Deutschen Telekom finanzierten Wissenschaftspreis für Frauen in den MINT-Fächern vergeben. Zudem werden Kunsttage durchgeführt, an denen Forschungsbefunde des Kollegs in Lecture Performances in Szene gesetzt werden.
Doris Janshens große Leidenschaft bildete in den vergangen fünf Jahren das Forschungsfeld der Gender Medicine. Mit großer Hingabe entwickelte sie die Soziomedizinische Genderforschung als Forschungsschwerpunkt des Kollegs. Im Zuge dieses Schwerpunktes plant und beginnt sie Forschungen zur gender-spezifischen Bewältigung der Nierentransplantationen und zur sozialen Verarbeitung von Synästhesie. Zudem erforschte Doris Janshen im Rahmen des Kompetenznetzwerks Herzinsuffizienz die Kommunikation von Arzt/Ärztin und Patient/Patientin. Doris Janshen konzipiert diesen Schwerpunkt als praxisnahe Forschung. Sie will nicht über die Medizin forschen, sondern zusammen mit den medizinischen Fächern zum Wohl des Patienten beitragen.
Die letzten Jahre am Essener Kolleg bedeuteten für Doris Janshen eine enorme Anstrengung. Der Wandel der Hochschule von der Bildungs- zur Leistungsuniversität widerstrebt ihr. Sie sucht den Ort der intellektuellen und politischen Auseinandersetzung, sehnt sich nach der, wie Jaqcues Derrida formuliert, „unbedingten Universität“. Die zahlreichen Evaluationen, die das Kolleg als zentrale Einrichtung überstehen muss, empfindet sie als Zumutung. Die von ihr geplanten und teils mitten in der Auswertung stehenden Projekte werden von ihrem plötzlichen Tod unterbrochen.

Trotz aller Widerstände, die sie gesellschaftlich und universitär als Grenzgängerin erfuhr, und auch trotz aller Enttäuschungen über die Langsamkeit der Mühlen in der Geschlechterpolitik nahm sie die Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis bis zuletzt in ihren Bann. In ihren Worten: Im Befreiungsrausch der Neuen Frauenbewegung befangen, schienen mir die Fesseln des Geschlechts in einem rasenden Tempo abzufallen. Doch die Gesellschaft ist langsamer als jede über sie hinwegstürmende Revolution. Nunmehr älter geworden, bin ich immer noch zu jung, um Wünsche nach Analyse und Veränderung der Geschlechterspannung anheim oder nur weiter zu geben. Tempus fugit Gender bleibt.

Ein bewegtes und ein bewegendes Leben ist zuende gegangen. Auch wenn die Soziologie und die Geschlechterforschung nun ohne sie auskommen müssen, ihr wissenschaftliches Erbe wird von Generationen von Gender-ForscherInnen weitergetragen.